• News

Energetische Sanierung: Beweggründe und Wirtschaftlichkeit

12.09.2024 Stefan Aeschi Dipl. Architekt ETH/SIA DAS Wirtschaft FH Experte Bau- und Energietechnik beim HEV Schweiz

Wohneigentümer sehen sich beim Gebäudeunterhalt grossen Herausforderungen gegenüber. Welches die idealen energetischen Massnahmen sind, hängt von der Lebenssituation und den Bedürfnissen der jeweiligen Bewohner ab.

Die Annahme des Klimaschutzgesetzes 2023 durch die Schweizer Stimmbevölkerung setzte ein klares Zeichen für den Weg zu Netto-Null-Treibhausgasemissionen bis 2050. Zur Zielerreichung genügt hier ein günstiger Heizungsersatz von fossilen Heizungssystemen durch erneuerbare Energieträger bei Weitem nicht aus. Die Gesamtsanierungskosten für den Gebäudesektor liegen deutlich über 200 Mia. Franken.

Zuerst gilt es, möglichst wenig Energie zu verbrauchen, was ohne optimale Dämmung der Gebäudehülle und zeitgemässen Fenstern im Gesamtsystem Gebäude schlichtweg nicht funktioniert. Über zwei Drittel der dauerhaft bewohnten Gebäude wird noch fossil oder über ineffiziente Elektroheizungen betrieben. Schweizweit befinden sich knapp eine Million Gebäude in den GEAK-Klassen E bis G. Um die geforderten Minimalanforderungen einer GEAK-Klasse D zu erreichen, bedürfen diese Gebäude allesamt einer umfassenden Sanierung. In den verbleibenden 26 Jahren bis 2050 müssen zur Zielerreichung demnach jährlich ungefähr 35 000 Gebäude energetisch saniert werden – heute stehen wir bei der Hälfte. Dies soll aber nicht heissen, dass Wohneigentümerinnen und -eigentümer nicht entsprechend investieren. Aber neben wirtschaftlichen Überlegungen wirken auch behördliche Prozesse wie lange Baugenehmigungsverfahren, Einsprachen und Rekurse bremsend. Ob der Bausektor eine Verdoppelung der Sanierungsaufgaben überhaupt bewältigen könnte, ist fraglich, denn noch immer fehlen vertrauenswürdige Fachkräfte mit Erfahrung.

Verlauf des Gebäudewertes – abhängig vom Lebenszyklus sowie möglicher Unterhaltsund Sanierungsmassnahmen

Herausforderungen liegen weit über oberflächlichen Verbesserungen

Im Rahmen des Gebäudeunterhalts gehen Forderungen nach dem Motto «dämmen, nicht nur malen » heute weit über «Pinselsanierungen» hinaus. Wer früher die Fassade seiner älteren Liegenschaft zur Auffrischung lediglich neu gestrichen hat, sieht sich heute vor dem Hintergrund des energieeffizienten Wohnens mit Fragen der nachträglichen Gebäudeisolation und allenfalls sogar der Eigenenergieproduktion konfrontiert. Im Zusammenhang mit Gesamtsanierungen darf der energetische Aspekt des Gebäudes aufgrund der aktuellen Energiegesetzgebung nicht mehr ausser Acht gelassen werden, auch wenn sich der Zustand des Eigenheims während vieler Jahrzehnte, mit wenigen Abstrichen, für die eigenen Bedürfnisse bewährt und gerechnet hat.

Die Komplexität der Herausforderungen spiegelt sich in entsprechend aufwendigen Planungsprozessen und meist sehr hohen Sanierungskosten wider, beläuft sich doch eine ganzheitliche energetische Sanierung eines durchschnittlichen Einfamilienhauses schnell auf etwa 150 000 Franken. Dass sich die hohen Kosten positiv auf den Wohnkomfort auswirken und die Betriebskosten senken, ist unbestritten. Ob aber die Investitionskosten einem für die Eigentümerschaft adäquaten Mehrwert gegenüberstehen – auch im Hinblick auf einen späteren Verkauf der Wohnliegenschaft –, ist fraglich. Die weit über den klassischen Unterhalts- und Instandsetzungskosten liegenden zusätzlichen Investitionskosten einer energetischen Sanierung schlagen sich nie zu 100 Prozent in der Wertsteigerung einer Immobilie nieder, auch wenn damit oft plakativ geworben wird. Erfahrungsgemäss liegt die Wertsteigerung bei Wohnbauten im Idealfall zwischen 80 und 90 Prozent der Investitionskosten. 

50-jähriges Gebäude verliert die Hälfte des Wertes

Gebäude sind einem natürlichen Alterungsprozess und somit einem jährlichen Wertverlust von ein bis zwei Prozent der ursprünglichen Baukosten unterworfen. Ohne Investitionen in den Werterhalt verliert ein Gebäude nach 50 Jahren die Hälfte seines Wertes. Eine kleine Instandsetzung nach 10 bis 15 Jahren Gebrauch ist im Bereich von Oberflächenerneuerungen wie Teppichen oder Wandbelägen werterhaltend (W). Nach 20 bis 25 Jahren stehen weitere Massnahmen in Innenausbau, Nasszellen, Küche, Haustechnik und Teilen der Gebäudehülle im Sinne einer Teilerneuerung als grosse Instandsetzung (I) an. Eine umfassende Sanierung (S) ist meist nach 40 bis 50 Jahren sinnvoll und umfasst in der Regel eine Erneuerung der Gebäudehülle, Gebäudetechnik, Installationen sowie des gesamten Innenausbaus (siehe Grafik). Je nach Umfang der Massnahmen kann der Gebäudezustand anschliessend unter oder sogar über dem Neubauwert liegen. Um notwendige Instandsetzungs- oder Sanierungsmassnahmen aus finanzieller Sicht nicht unnötig hinausschieben zu müssen, lohnt es sich, den jährlichen Wertverlust von ein bis zwei Prozent des Gebäudewertes als entsprechende Rückstellungen zu tätigen.

Beweggründe für eine energetische Sanierung nach Eigentumsverhältnissen

Eigene Bedürfnisse und Lebenssituation entscheidend Das Spinnendiagramm rechts veranschaulicht, dass bei Einfamilienhausbesitzern erwartete tiefere Betriebskosten nach einer Sanierung und eine Wertsteigerung der Liegenschaft, die meist tiefer als die zusätzlichen Investitionskosten liegt, wesentlich zur Entscheidungsfindung beitragen. Hauptargument für eine energieeffiziente Gebäudesanierung bleibt aber die persönliche Überzeugung, etwas Gutes für die Umwelt zu tun, während die Wirtschaftlichkeit der ausgelösten Massnahmen zwar gewünscht, nur sehr selten aber über den individuell betrachteten Zeitraum gegeben ist. Im Stockwerkeigentum liegt die Wertsteigerung im Idealfall bei höchstens 80 Prozent der Investitionskosten für energetische Massnahmen. Die Wirtschaftlichkeit liegt im Stockwerkeigentum meist unter derjenigen des Segments der Einfamilienhäuser, was der höheren Komplexität der Anforderungen geschuldet ist. Die eigene Überzeugung ist hier systembedingt der Mehrheit innerhalb der Stockwerkeigentümergemeinschaft untergeordnet.

Beweggründe für eine energetische Sanierung nach Lebenssituation

Das Diagramm rechts aussen zeigt, wie individuell die Entscheidungsfindung respektive die Priorisierung im Zusammenhang mit einer Gesamtsanierung oder auch einem reinen Heizungsersatz je nach Lebenssituation sein kann. Während das Beispiel des Aussteiger-Paares aufgrund anderer Lebensperspektiven keine klaren Prämissen zeigt, sondern einzig der Werterhalt der Liegenschaft im Vordergrund steht, werden junge Grosseltern beispielsweise wohl eher auf die Gesamtkosten achten müssen. Eine junge Familie im neuen Heim setzt ihre Prioritäten aufgrund der Zukunft eher bei klimaschonenden Aspekten und möchte möglichst wenig eigenen Aufwand im ganzen Sanierungsprozess haben, um für die Kinder maximal verfügbar zu sein. Zusammenfassend kann abgeleitet werden, dass die Beurteilung der «richtigen» Massnahmen immer individuellen Charakter hat und auf die eigene Lebenssituation, die eigenen Bedürfnisse und den Lebenszyklus des Gebäudes abgestimmt
sein sollte.

Alternativen zum Königsweg

Der Königsweg beschreibt die ideale energetische Sanierung, beginnend bei der Reduktion des Energieverlustes durch eine optimale Dämmung der Gebäudehülle bei gleichzeitigem Ersatz der alten Fenster durch moderne, hochisolierte Verglasungen. Der daraus resultierende reduzierte Gesamtenergieverbrauch dient als Basis für die Dimensionierung eines neuen Heizsystems mit erneuerbaren Energien. Im Zusammenhang mit der Dach- und Fassadensanierung sollte auf dem Königsweg auch die Eigenstromproduktion und eine Solarthermie zur Unterstützung der Warmwasseraufbereitung thematisiert werden. Als Pünktchen auf dem i kann eine smarte Gebäudeautomatisation die Energieeffizienz zusätzlich steigern. Aus Sicht der Investitionskosten für eine energieeffiziente Gebäudesanierung sind nach oben fast keine Grenzen gesetzt. Neben den nötigen finanziellen Mitteln und der Tatsache, dass mit dem Königsweg die Wirtschaftlichkeit nur selten gegeben ist, liegt die Herausforderung bei der Gesamtsanierung von Wohnbauten oft im Detail, also den damit verbundenen Schwierigkeiten im Gesamtprozess von der Planung über das Bewilligungsverfahren bis hin zur Verfügbarkeit von Fachkräften für eine professionelle Ausführung. Daran werden auch Fördermittel und Steuerersparnisse nichts ändern. Wer aber weniger aus reiner Überzeugung handelt und sich auf finanzielle Erwägungen abstützt, sucht selbstverständlich zu Recht nach den wirtschaftlich interessantesten Sanierungsmöglichkeiten, oft fernab vom Königsweg. Durch die Senkung der Nebenkosten nach der Sanierung sind ein möglichst langfristiger Eigengebrauch der Liegenschaft und minimale Sanierungsmassnahmen oft am wirtschaftlichsten. Im Hinblick auf Netto- Null 2050 wäre unter einem Minimaleingriff ein reiner Heizungsersatz eines fossilen Systems auf einen erneuerbaren Energieträger zu verstehen, werden doch noch immer gut 60 Prozent der Hauptwohnsitze fossil beheizt. Selbstverständlich ist der Energiespareffekt nicht derselbe wie bei einer tiefgreifenden Sanierung. Jedoch ist der Investitionsbedarf dafür auch ungefähr 75 Prozent tiefer, und somit sind meist die Finanzierbarkeit und auch die Wirtschaftlichkeit gegeben. Es lohnt sich auf jeden Fall, generelle Aussagen und Fakten auf die persönliche Situation, die eigenen Lebensumstände und Zukunftsaussichten hin anzuwenden und die Wirtschaftlichkeit der Massnahmen am eigenen Gebäude konkret zu prüfen sowie den eigenen Bedürfnissen und Möglichkeiten entsprechende Priorität zu geben. Im Wissen, dass viele Wege nach Rom führen, kann es aus ökonomischer Sicht sinnvoll sein, den Königsweg den Königen zu lassen und seinen eigenen Weg zu gehen.

Erfahrung: Es ist ein Spagat zwischen politischen Klimazielen und Lebenssituation

Im Rahmen der Messe Bauen & Modernisieren in Zürich darf ich seit einigen Jahren HEV-Seminare moderieren und zum Heizungsersatz sowie über den Unterhalt und die Modernisierung von Wohngebäuden referieren. Die daraus entstehenden Gespräche mit Direktbetroffenen zeigen Einigkeit punkto Schonen des Klimas. Gleichzeitig zeigen sie aber auch die Komplexität der damit verbundenen Herausforderungen und Bedenken vieler Hauseigentümer auf. Dies führt oft zu einem Konflikt.

Neben dem geforderten Umstieg auf erneuerbare Energien und der Senkung des Gesamtenergieverbrauchs durch eine Optimierung der Gebäudehüllendämmung – im Idealfall gepaart mit einem Ersatz alter Fenster – muss die persönliche finanzielle Situation eine stabile, gesicherte Lebensperspektive bieten und dies bei einer momentan sehr schnelllebigen, eher volatilen Weltlage. 
Stefan Aeschi